Deutsches Bildungssystem als Exportschlager
Hürth/Addis Abeba/Valparaíso. Es ist keine Neuigkeit, dass das Europa-Netzwerk am Goldenberg Europakolleg weit gespannt ist. Jedes Jahr haben die Schüler der Mittelstufe die Möglichkeit, ein Betriebspraktikum in Großbritannien, Frankreich, Finnland, Bari, La Palma oder Malta zu absolvieren. Aktuell sind 42 von ihnen unterwegs. Im Anschluss an den dreiwöchigen Auslandsaufenthalt erhalten sie dann den europass, der ihnen im Bewerbungsverfahren einen Vorteil verschafft.
Neu dagegen sind die Auslandsaktivitäten der Lehrer über Europas Grenzen hinaus. So packte Frank Schneppenheim (45), Lehrer für Metalltechnik, Ende März seine Koffer, um für zwei Jahre nach Äthiopien aufzubrechen. Dort wird der gelernte Maschinenschlosser im Rahmen des TVET (Technical Vocational Education and Training), organisiert von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Werkstattlehrer ausbilden. Darüberhinaus reizt es ihn „Land, Leute und fremde Kulturen“ kennenzulernen, erläutert der Lehrer seine Beweggründe.
Auf die Idee gekommen, Entwicklungshilfe zu betreiben, ist er durch einen längeren Aufenthalt in Israel. In einem sogenannten Moschaw, einer auf genossenschaftlicher Basis organisierten Gemeinschaft, begann er 1990 den Zivildienst. Doch der Golfkrieg zwang ihn dazu, vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren. „Es hat mich aber nie losgelassen, noch einmal im Ausland zu arbeiten“, so Frank Schneppenheim. Für die nächsten zwei Jahre müssen die angehenden Land- und Baumaschinenmechaniker am Goldenberg Europakolleg deshalb ohne ihn auskommen.
Frank Schneppenheim ist aber nicht der einzige Goldenberger Lehrer, der seinem Beruf im Ausland nachgeht. Den Anfang machte vor 3½ Jahren Studiendirektor Albert Rorarius, der – so klein ist die Welt – auch in Äthiopien tätig ist. Unterstützt durch das „Centrum für Internationale Migration“ (GIZ-CIM) ist er dort im Rahmen des GIZ-Bildungsprogramms als Dean, also Leiter einer Schule, tätig. Seine neue Wirkungsstätte: Das Tegbare-id Polytechnic College in Addis Abeba. Seine Aufgabe: Die Berufsbildungsreform auf College-Ebene umzusetzen. Dafür ist er der richtige Mann, denn er ist mittlerweile der einzige Schulleiter in Äthiopien, der über einschlägige und umfassende praktische Erfahrungen in der handlungsorientierten dualen Berufsausbildung verfügt. Dieses Know-how führte auch dazu, dass er für den äthiopischen Staatsminister für Berufliche Bildung organisatorische und didaktische Konzepte für den Aufbau eines „Centre of Excellence“ entwickelte. „Dabei konnte ich auf die langjährigen Erfahrungen in der Schulentwicklung des Goldenberg Europakollegs zurückgreifen“, blickt Rorarius auf seine Zeit am Hürther Berufskolleg zurück.
Der Kontakt zu seinen ehemaligen Kollegen am Goldenberg Europakolleg ist auch nach seinem Weggang erhalten geblieben. So besuchte er in der Vergangenheit im Heimaturlaub regelmäßig das Goldenberg Europakolleg. Oder er traf seine früheren Kollegen und Ausbildungsmeister auf der bauma, der internationalen Fachmesse für Baumaschinen und Baugeräte in München. Doch das war nicht das einzige bedeutende Treffen im letzten Jahr. Im vergangenen Frühjahr erhielt das Tegbare-id Polytechnic College hohen Besuch vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck und seiner Partnerin Daniela Schadt. Herr Gauck informierte sich an dem College über die Berufsausbildung in Äthiopien. Albert Rorarius erinnert sich noch gut an den organisatorischen Aufwand im Vorfeld des Besuches. Insbesondere das Protokoll und die Sicherheitsvorkehrungen machten mehrere Überprüfungen der Schule erforderlich. Schließlich aber hieß der deutsche Schulleiter den Bundespräsidenten im Tegbare-id Polytechnic College Addis Abeba willkommen. Eine Begegnung, die den Lehrer aus Hürth sehr beeindruckte: „Ich war sehr beindruckt von der Herzlichkeit, Offenheit und Zwanglosigkeit, mit der der Bundespräsident in Kontakt zu den Auszubildenden und Lehrern trat, um mehr über ihre Ausbildung bzw. ihre Tätigkeit am College zu erfahren. Für mich und meine äthiopischen Kollegen und Auszubildenden wird dieser Besuch ein unvergessliches Ereignis bleiben.“ Die drei Jahre engagierter Arbeit haben sich ausgezahlt. Das Tegbare-id Polytechnic College ist zu einem der besten staatlichen Colleges in Äthiopien aufgestiegen.
Die Dritte im Bunde, Isabel Jung, Englischlehrerin und ehemalige EU-Koordinatorin am Goldenberg Europakolleg, ging vor zwei Jahren nach Chile. Zusammen mit ihrer kleinen Tochter begleitete sie ihren Mann, der an der deutschen Schule in Valparaíso Schüler auf das Internationale Abitur vorbereitet, indem er Biologie auf Deutsch unterrichtet. Es überraschte ihre Kollegen am Goldenberg Europakolleg nicht, dass die „Vollblutpädagogin“ in Chile alles daran setzte, um weiter in ihrem Beruf arbeiten zu können. Nach viel bürokratischem Hin und Her begann sie im Sommer 2013, englische Konversationskurse an der Universität Vina del Mar zu geben. „Auch um nicht ganz einzurosten“, so Jung. „Außerdem habe ich den Kontakt zu jungen Menschen vermisst.“ An der Universität kommen in ihren Kursen Studenten aus verschiedenen Nationen wie den USA, Deutschland und Finnland zusammen, aber auch chilenische Studenten können dieses Seminar wählen. „Genau das habe ich mir von unserem Umzug ins Ausland immer erwünscht – viele Menschen aus vielen Nationen kennen zu lernen und ihre auch kulturell unterschiedlich geprägten Sichtweisen auf Kunst und Globalisierung.“
Nach ihrer Rückkehr aus Chile plant Isabel Jung ihr Fächerangebot durch Spanisch zu ergänzen. Dadurch kann sie die sogenannte IKV, die Interkulturelle Vorbereitung, am Goldenberg Europakolleg unterstützen; hier bereiten sich die Schüler durch landeskundliche und sprachliche Module auf ihren Auslandsaufenthalt vor. Isabel Jung ist nicht ganz uneigennützig dabei: „Auf diese Weise kann ich unseren Schüler eine gute Spanisch-Grundlage vermitteln, sodass sie sich im Praktikum zurechtfinden können, bleibe aber selber auch in der Übung.“ (MÜN)